Mit Ärzte Ohne Grenzen nach Malawi – 2. Vorbereitungen

Warum habe ich Ärzte Ohne Grenzen gewählt? Warum hat Ärzte Ohne Grenzen mich gewählt? Warum Malawi? Allerlei Vorbereitungen…

Den Traum, irgendwann mal im globalen Süden zu arbeiten, hatte ich schon lange. Tatsächlich hatte ich mich entschieden Medizin zu studieren, weil mir das damals als DDR-Bürger Mitte / Ende der 80er als einzige realistische Möglichkeit erschien, überhaupt irgendwie legal rauszukommen und die Welt zu sehen. Später während des Studiums wählte ich strategisch als Fachrichtung Gynäkologie und Geburtshilfe, denn ich hatte in einem Praktikum in Tansania erlebt, dass Geburtshilfe überall auf der Welt gebraucht wird und es einen eklatanten Versorgungsmangel besonders in armen Ländern gibt.

Als sich im Sommer 2021 nach 16 Jahren als Frauenarzt ein paar Monate arbeitsfreie Zeit zwischen zwei Jobs abzeichneten und meine Frau mir empfahl, diese mal für Sachen zu nutzen, die ich schon immer machen wollte, war schnell klar, jetzt, oder nie.

Die erste Frage war, mit wem. Mit welcher Gesellschaft oder Organisation. Es sollte einen möglichst sinnvollen Zweck erfüllen, nicht nur der Selbstverwriklichung dienen. Es musste gut organisierbar sein. Zwar war ich in der luxeriöse Situation, mir einige Monate freinehmen zu können. Trotzdem war dieser Zeitraum begrenzt. Es musste so professionell gemanagt sein, dass es in dieser Zeit planbar und durchführbar war. Nach einiger Internetrecherche blieb sehr schnell Ärzte Ohne Grenzen e.V. (Médecins Sans Frontières – MSF) übrig. Sie suchten explizit Gynäkolog*innen und Geburtshelfer*innen. Die Organisation ist weltweit renommiert und weltweit aktiv. Sie gilt als Friedensnobelpreisträger als extrem seriös und geht transparent und nachhaltig mit ihren Finanzen um.

Also im Juli 2021 Bewerbung hingeschickt. Kurze Zeit später kam die Antwort, dass sie Interesse hätten und jetzt ging das eigentliche Bewerbungsverfahren los. Neben Lebenslauf und üblichen Qualifikationsnachweisen fanden mehrere Telefoninterviews mit Mitarbeiterinnen der deutschen Zentrale in Berlin statt. Ich musste zwei Empfehlungsschreiben besorgen. Zwei Freunde und ehemalige Kollegen bürgten darin für mich, dass meine Behauptungen im Lebenslauf zutrafen. Ich musste sehr lange Skills-Listen ausfüllen, in denen zahlreiche gynäkologisch-geburtshilfliche Prozeduren abgefragt wurden, wie oft ich diese durchgeführt hätte und wann zuletzt. Ich musste angeben, wie ich zu Abtreibung stand. Mir wurde erklärt, dass bei MSF Maßnahmen zur sicheren Schwangerschaftsbeendigung praktiziert werden und man dies auch von mir erwarte (was natürlich für mich kein Problem darstellte). Weiterhin musste ich angeben, ob ich jemals in Israel war (war ich 2019), da dies für manche Länder ein Visaverweigerungsgrund ist. (Ideologie über Ethik zu stellen muss man sich auch leisten können. Die Machthaber mancher Länder können es offensichtlich)

Nachdem diese ersten Hürden genommen waren, kam ich auf die Liste der zur Verfügung stehenden Ärzt*innen. Nun wurde weltweit, insbesondere vom „Operating Center Paris (OCP)“ nach Projekten gesucht, in die ich mit meiner Expertise passen könnte. Ich bekam jetzt langsam mit, welch gigantischer Apparat MSF ist. Welche unglaublichen Anstrengungen (und Bürokratie) nötig sind, um weltweit diese Zahl an Projekten wirksam umzusetzen. Wer möchte, kann sich hier einen Eindruck davon verschaffen. Ab November 2021 kümmerte ich mich um weitere Dokumente wie polizeiliche Führungszeugnisse, Bestätigungen von Ärztekammer und Bezirksregierung, dass ich wirklich Arzt bin und bisher noch keinen Ärger gemacht hatte.

Schließlich bekam ich am 10. Januar 2022 eine E-Mail, dass man in einem Projekt in Malawi jemanden wie mich brauche. Es ginge dort weniger um klassische Gynäkologie und Geburtshilfe als vielmehr um ein Projekt zu Behandlung von Gebärmutterhalskrebs. Ich lernte, dass diese durch Viren (Humanes Papillomavirus, HPV) hervorgerufene Krebserkrankung in diesem Land geradezu endemische Ausmaße angenommen habe. Malawi hat die zweithöchste Inzidenz weltweit (72,9 Fälle / 100.000 EW / Jahr). Nur in der Karibik ist es schlimmer. Zum Vergleich: die Inzidenz dieser Krebserkrankung beträgt in Deutschland mit seinem Früherkennungsprogramm und Möglichhkeiten zur HPV-Impfung 8,6 / 100.000 / Jahr. Ein zusätzlich unterhaltender Faktor für die weite Verbreitung in Malawi ist die noch immer relativ hohe HIV-Prävalenz (in der Region Blantyre bei 17%). Ein geschwächtes Immunsystem wird mit den krebserregenden Viren nicht fertig, so dass Gebärmutterhalskrebs (zusammen mit dem Kaposi-Sarkom) die häufigste Krebsart in Malawi ist.

Das Problem ist so groß, dass MSF, die sonst meist in akuten Katastrophengebieten oder Kriegs- und Krisengebieten vor allem Notfallmedizin und Ernährungs- sowie Impfprogramme durchführen, diese Zustände als „katastrophal genug“ betrachtet und dort seit 2018 aktiv geworden ist. Da ich auf dem Gebiet der gynäkologischen Onkologie (Krebstherapie) spezialisiert bin, waren MSF froh, dass ich mich beworben hatte und ich bin froh, dass ich auf einem Gebiet arbeiten kann, auf dem ich mich auskenne.

Nun musste alles ganz schnell gehen. Ich bekam Online-Zugänge zu zahlreichen Schulungen. Schulungen über MSF, Struktur, Meldewege, die Charta, wie MSF Medikamente weltweit beschafft und breitstellt, die Geschichte aber schließlich auch zu medizinischen Themen, die „im Feld“ auf mich zukommen könnten: Infektionsmedizin, Triage, Ernährungsprogramme, Evakuierung im Katastrophenfall. Parallel dazu fanden nun viele Onnline-Interviews und Briefings statt mit den Projektleitern für Malawi, meinem Vorgänger vor Ort, Psychologin, verschiedenen Personalmanagern. das schien alles sehr viel und hier und da auch etwas wiederholend zu sein, andererseits vermittelte es mir das Gefühl, Teil eines hochprofessionlisierten Unternehmens zu sein, in dem wie im Ameisenhaufen jeder seine Aufgabe zum Gelingen des großen Ganzen hatte. Letzte Woche bekam ich noch meine Tropentauglichkeitsuntersuchung und letzte Impfungen (Tollwut und Hepatitis-B-Booster) und nachdem gestern mein PCR-Test negativ war, sitze ich nun am 6. Februar 2022, während ich diese Zeilen tippe, in Frankfurt am Flughafen und warte auf meinen Anschlussflug mit Ethiopian Airlines über Addis Abeba nach Blantyre in Malawi.

7 Gedanken zu “Mit Ärzte Ohne Grenzen nach Malawi – 2. Vorbereitungen

  1. Lieber Herr Hentsch, ich bin um ein paar Ecken herum auf Sie aufmerksam geworden, und lese nun mit großer Spannung Ihre Berichte. Das Projekt ist großartig und wenn ich könnte, würde ich sofort mitkommen.
    Bleiben Sie gesund und werden Sie nicht müde, uns auch weiterhin über Ihre Schulter schauen zu lassen 🙂

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  2. Danke, dass du uns teilhaben lässt! MSF sendet mir zwar regelmäßig Berichte über die Zeitschrift AKUT, aber es ist doch irgendwie anders, wenn man den Menschen kennt, der den Bericht verfasst hat. Ich freue mich auf mehr!

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  3. Danke für die Einblicke, ich warte nur darauf, dass meine Kinder groß genug sind, um mich für einen Einsatz mit MSF loszulassen…
    Viele Grüße!

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