Tingatinga-Malerei ist eine originär tansanische Kunstform. Von ihr und einem ihrer Vertreter, Damian Boniface K. Msagula, handelt dieser Text.
Zum Abschluss meines medizinischen Praktikums 1996 im St. Walburg’s Hospital Nyangao, Tansania hatte ich die Möglichkeit noch ein bisschen durchs Land zu reisen und die touristischen Hotspots wie die großen Nationalparks im Norden des Landes oder die Insel Sansibar zu erkunden. An einem der letzten Tage in der Hauptstadt Dar es Salaam erweckte in einem kleinen Lädchen ein auf Leinwand gemaltes Bild meine Aufmerksamkeit. Es stellte Szenen der Arbeit in einem Krankenhaus dar. Die Figuren, offenbar Ärzte und Schwestern sowie Patienten, waren nur sehr wenig räumlich abgebildet. Der Hintergrund changierte weich in hellem und dunklem Blau. Bemerkenswert war die Decke des dargestellten Raumes, sie war wie ein schwarz-weißer Fliesenboden gemalt und streng zweidimensional. Darunter hatte der oder die Künstlerin drei Neonröhren und Deckenventilatoren sowie eine große OP-Leuchte aufgehängt. Alles war sehr schematisch in klar definierten Farben abgebildet. Das Sujet des Krankenhauses war natürlich sehr anziehend für mich, weswegen ich das Bild gern kaufte und als Souvenir mitnahm. Signiert war das Bild von einem „Chilambo“. Zu Hause spannte ich die Leinwand auf einen Holzrahmen und seitdem hängt das Bild in meinem Arbeitszimmer, wo es mir immer wieder Anlass gibt, an die Zeit Mitte der 90er in Tansania zurückzudenken.

Tingatinga Malerei – eine originär tansanische Form der Malerei
Erst einige Jahre später stieß ich auf Informationen über diese spezielle Art der Malerei. Sie geht zurück auf Edward Saidi Tingatinga. Er lebte von 1932 bis 1972 und begann nach einem bereits ereignisreichen Leben erst 1968 zu malen. Auf quadratischen Masonitplatten (Holzfaserplatten) bildete er mit Fahradlacken Tiere ab in seitlicher Projektion vor einem ein- oder zweifarbig changierendem Hintergrund. Die Konturen waren oft kräftig schwarz gezeichnet und die Farben entsprachen nicht notwendigerweise der natürlichen Farbgebung der Tiere. In den nur 4 verbleibenden Jahren seines Lebens wurde er bekannt für seine Zebras, Leoparden und Vogel-darstellungen. Die Kunstgattung ist nach seinem Namen benannt: Tingatinga Malerei. Es entstand eine eigene Malschule, so dass hunderte tansanischer Künstler zunächst streng nach seinem Vorbild malten, in den folgenden Jahrzehnten aber auch Abwandlungen und eigene Stile hervorbrachten. Verkauft wurden die Bilder zu einem beträchtlichen Teil an Touristen, weswegen sie von einigen etwas abschätzig als „Flughafenkunst“ angesehen werden. (Mehr zur Tingatinga-Kunst findet man auch hier: Click!)
Auf meinen Streifzügen durchs Internet, inzwischen als Assistenzarzt nachts im Bereitschaftsdienst, blieb ich auf der Seite eines Kapitäns aus Lauenburg an der Elbe hängen, Kapitän Felix Lorenz. Er hatte auf seinen zahlreichen Fahrten nach Ostafrika eine große Sammlung von Tingatinga-Malerei und Schnitzarbeiten der Makonde aus dem Süden Tansanias geschaffen und einen Teil davon online gestellt. Ich war 2003 dabei, ein Benefizkonzert mit unserer Gospelgruppe für eine AIDS-Waisen-Organisation in Tansania zu organisiseren und dachte, es wäre eine tolle Idee, dies mit einer Ausstellung solcher Bilder zu kombinieren. Ein Bild hatte es mir besonders angetan. Auf ihm war eine Kirche dargestellt, die ich sofort wiedererkannte. Sie erinnerte mich genau an die Kirche der Abtei in Ndanda, Südtansania, zu der das Krankenhaus gehörte, in dem ich sieben Jahre zuvor mein Praktikum geleistet hatte. Konnte es sein, dass dieses Nest im Nirgendwo auf diese Weise künstlerisch verewigt worden war? Nach ein, zwei Telefonaten fand ich mich in Lauenburg am Kaffeetisch des Kapitäns wieder. Der sehr nette, ältere Herr erzählte von seiner Zeit als Kapitän auf den Weltmeeren und zeigte mir seinen Keller mit Stapeln unzähliger Tingatinga-Bilder aus der Frühzeit des Genres, also alle noch auf Holz gemalt (die späteren Werke wurden auch des einfacheren Transports wegen auf Leinwand gefertigt). Ich durfte mir eine repräsentative Auswahl davon in meinen Ford Escort Kombi laden und die Bilder mit nach Leipzig nehmen für unsere Ausstellung. Darunter auch das Werk mit der mit vertraut vorkommenden Kirche. Und tatsächlich, auf dem Bild war die Abtei in Ndanda dargestellt. Der Maler hatte mit D.B.K. Msagula signiert und wichtige Stationen seines Lebens dargestellt, darunter seine Zeit in Ndanda. Die Stationen seines Lebens („Maisha“) sind zusätzlich schriftlich bezeichnet. Unter der Kirche liest man „Kijij na kanisa la R.C. missioni Ndanda“ (Dorf und Kirche der römisch-katholischen Mission von Ndanda).

Damian Boniface K. Msagula
Msagula war in eben diesem Ndanda 1939 in eine arme Familie mit 6 Geschwistern geboren worden. Im Alter von 15 Jahren war er lokal recht bekannt durch seine Bands, u.a. die „Skylarks Jazz Band“. Als Obstverkäufer kam er 1972 in der Hauptstadt mit Tingatinga-Malerei in Kontakt und wurde selbst zum Maler. Die Tingatinga-Maler dieser ersten Generation stammten größtenteils aus dem Süden des Landes, kurz vor der Grenze zu Mosambik, wo sich eben auch Ort wie Ndanda oder die etwas größere Stadt Mtwara befinden. Hier leben die Menschen vom Stamm der Makonde, die auch für ihre beeindruckenden Schnitzarbeiten bekannt sind.

Msagula entwickelte bald einen eigenen Stil. Seine Bilder sind durch ihre farbliche Ausgewogenheit gekennzeichnet, die ihm immer besonders wichtig war. So wichtig, dass er teilweise seine eigenen Farben herstellte. Damian Msagula gilt als zentrale Figur in der Kunstszene Tansanias. Er konzentrierte sich mehr und mehr auf Szenen aus dem dörflichen Leben, was sicherlich auch mit seiner Aktivität in der Ujamaa-Bewegung in Tansania nach der Unabhängigkeit zusammenhing.
Das wusste ich damals, 2003, natürlich alles nicht. Ich sah nur dieses Bild und die Erinnerungen, die es bei mir wieder wachrief. Also kaufte ich es dem Kapitän ab. Zusätzlich erstand ich noch ein weiteres Werk Msagulas, das Portrait vermutlich einer Nonne. Ich nahm das anfangs aber eher als Mariendarstellung war. Auf diesem Tableau wird die Msagula nachgesagte farbliche Harmonie meines Erachtens nach besonders deutlich. Die sehr expressive Farbgebung ist das, was mich bei diesem Bild von Anfang an anzog.

Auf dem Bild stehen die Worte: Tubuni Salini Rosali. Aus dem Kiswahili kann man es wohl am ehesten als „Büßt und betet den Rosenkranz“ übersetzen. Auch auf diesem Bild kommen, anders als bei den frühen Darstellungen Edward Tingatingas, mehrere parallele Facetten katholischer Religiosität zum Ausdruck. Neben klassischer Tingatinga-Tierdarstellungen erkenne ich eine Taube, eine Schlange und mit etwas Fantasie ein Opfertier oder ein goldenes Kalb sowie ein Neugeborenes, vielleicht das Jesuskind. Die Nonne scheint eine Weiße zu sein, die Hautfarbe ist mehr rosa und für die langen Haare wurde mit gelb der schwarze Grund übermalt. Wer weiß…
Seit mehr als 10 Jahren hängen diese Werke nun in unserem Treppenhaus. Die anderen Bilder der Ausstellung schaffte ich wieder zurück nach Lauenburg. Die Ästhetik ist sicherlich Geschmacksache. Aber neben der Bedeutung als originär tansanische Kunstform sind sie für mich persönlich mit Erinnerungen an meine Famulatur vor mehr als 20 Jahren verbunden.
Wenn ihr einen weiteren Text über diese Zeit lesen wollt, klickt hier und lasst Euch auf eine Motorradfahrt zum Makonde-Plateau entführen.