Zu seinem experimentellen Live-Hörstück lud mich mein „Patencousin“ vor ein paar Tagen nach Mönchengladbach ins Museum Abteiberg in die Ausstellung „Ramon Haze: Der Schrank“ ein. Zusammen mit Xenia Helms begab sich Christian Gierden auf die Suche nach dem Klang des Schranks. Alles, was ich im Folgenden darüber berichten kann, muss leider vage und irritert bleiben, denn nur ganz langsam, im Verlauf des Abends, konnte ich eine Ahnung davon bekommen, was an dieser Ausstellung, der Performance und an Ramon Haze Fiktion und was Realität war. Glücklicherweise ist das Verschwimmen der Grenzen zwischen Wahrheit und Erfindung keine neue Erfahrung für uns Bewohner der Neulands Internet.
Um es gleich vorweg zu nehmen: es wurde ein sehr kurzweiliger und unterhaltsamer Abend. Die Ausstellung und der dazu veröffentlichte, sehr liebevoll und aufwendig produzierte Katalog sind sehenswert. So, wie im Übrigen das gesamte Museum, dass ich zum ersten Mal besuchen durfte.
Ohne mich vorher zu informieren, also zu googeln, und ohne die Ausstellung anzusehen musste ich mir das Ganze zunächst durch das Live-Hörstück erschließen. Die Kunstsammlung „Der Schrank“ von Ramon Haze wurde bisher in Leipzig und Berlin gezeigt, nun also in Mönchengladbach. Im Live-Hörstück durchschritt man klanglich eine Fabrikhalle, in der Kunst-Funde wohl in den 90ern aufbewahrt oder entdeckt wurden. Texte als Einspieler wechselten sich mit Live-Lesungen ab. Untermalt, illustriert und ergänzt wurde dies durch Soundcollagen, Musikeinspielungen und Live-Keyboard-Performances. Xenia Helms und Christian Gierden versanken hinter ihrem Pult, auf dem Laptop, Mischpult, Keyboard, Synthesizer und ein geheimnisvoller Koffer aufgebaut waren, in ihrer Performance kopfnickend zum Beat der Lo-Fi-Musikschnipsel und Soundwelten.
Welche Realität konnte ich dieser Vorstellung nun entreißen? Zusammengetragen, archiviert und beschrieben wurden die Kunstwerke in „Der Schrank“ von Ramon Haze, einem selbsternannten (?) Kunstdetektiv, Sammler und Künstler. Aus Schriften des, wenn ich richtig verstanden habe, 22-jährigen Enthusiasten wurde vorgetragen, was er zu den Kunstwerken des ausgehenden 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts zu sagen hatte, wie er sie in durchaus schmerzhafter Ausführlichkeit beschrieb und bewertete. Besonders die Beschreibung und Interpretation des Oevres der Künstlerin Ruth Tauer, offenbar einer Meisterin der Flachkeramik, waren so plastisch und detailliert, dass man meinte, man müsse die Werke nun gar nicht mehr sehen, obwohl die Neugier erst recht geweckt war. Mit zunehmender Dauer, das Hörstück war insgesamt 60 Minuten lang, bekam ich jedoch immer mehr den Eindruck, dass dieser Kunstdetektiv Ramon Haze in seinem jungen Alter, schon recht altklug und sicherlich nervig für seine Umgebung gewesen sein muss. Vielleicht bewege ich mich aber auch in Kreisen, die eine deutlich nüchternere Herangehensweise ans Leben pflegen und bin solche Zeitgenossen nur nicht gewohnt. Eine gewisse groteske Übersteigerung der Darstellung der Kunstwerke lies mich allerdings zunehmend zweifeln, ob es diesen Ramon Haze (gesprochen „Hase“) wirklich gab. Die Kunstsammlung war real. So real, dass jedem von uns ein Großteil der ausgestellten Exponate in anderen Zusammenhängen, als einem Museum für moderne Kunst sicherlich schon begegnet ist. Bei der anschließenden privaten Führung durch Xenia und Christian durch die Ausstellung beschlich mich das Gefühl, das eine oder andere Exponat war nicht schon immer als Kunstwerk auf die Welt gekommen und hatte früher deutlich profaneren Zwecken gedient. Ein Highlight der Ausstellung sind sicherlich die in Dresden entdeckten acht „Reproduktionen“ des Marcel-Duchamp-Kunstwerks „Fountain„. Spätestens bei diesem Kunstfund sollte das gewisse Augenzwinkern der Ausstellungsmacher auffallen, mit dem die Werke zusammengetragen, arrangiert und in Bezug gesetzt wurden.
Wer sich ebenfalls auf die detektivische Suche nach dem Hintergrund dieser schönen und durchaus humorvollen Ausstellung machen möchte, hat noch bis zum 28. April 2019 Zeit. So lange ist die Sammlung noch im Museum Abteiberg in Mönchengladbach zu sehen. Und um doch mal einige Fakten aufzutischen sei zum Schluss noch die Website des Museums zur Ausstellung zitiert: „Holmer Feldmann und Andreas Grahl, die in den frühen 1990er Jahren bei Astrid Klein an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig studierten, kreierten den SCHRANK VON RAMON HAZE als eine kuratorische, publizistische und performative Fiktion, die als ein Gemeinschaftswerk mit weiteren Autoren und Akteuren gelang: dem ‚Sammlerkollegen’ Piotr Baran, den angestellten Schauspielstudenten; Xenia Helms, Joe Kuss, Jan Wenzel und Valentin Wetzel als Ko-Autoren der Werkbeschreibungen, dem Grafiker und Typografen Markus Dreßen, zusammen mit Jan Wenzel Mitbegründer des Verlags Spector Books in Leipzig, wo der großformatige Tafelband erschien.“
Wer Christian Gierden nachhören möchte, wird auf Soundcloud hier fündig: karlmarxstadt on soundcloud