Der Anlass war eigentlich kein schöner. Meiner Frau ältester Bruder war vor einiger Zeit gestorben. Und so ist es Sitte in weiten Teilen Kameruns, dass ein Jahr nach der Beerdigung, oft jedoch noch später, ein Fest zum Bau des Grabes gegeben wird. Dazu treffen sich die Familie und manchmal auch Freunde und Bekannte des Verstorbenen. Der Grabstein wird gesetzt, wobei viele Gräber eher gemauerten Sarkophagen ähneln, die mit Fließen gekachelt werden. Die Gräber befinden sich in unmittelbarer Nähe der Häuser, Friedhöfe gibt es nur wenige. Auf diese Weise sind die Toten aber weiterhin auch räumlich bei der Familie. Die Vorstellung, irgendwo an einem entfernten Ort, abseits des Hauses begraben zu sein, ist vielen Kamerunern ein Graus. Nach der kleinen oder aber auch größeren Zeremonie am Grab wird gemeinsam gegessen und bald schon beginnen Gesang und Tanz, so dass die eigentliche Feier nicht mehr von einer Hochzeit zu unterscheiden ist.
Familienfest in Wall
Am Samstag, den 21. Juli 2018 war der Tag der großen Feier. Nach dem Frühstück ging es zunächst in die Kirche, da die Kameruner Familie Adventisten des Siebenten Tags sind. Es schafften aber nur die Kinder und männlichen Familienmitglieder dahin, da die Frauen noch knietief in der Hausarbeit und den Vorbereitungen der Festlichkeiten steckten. Der Gottesdienst begann gegen 10 Uhr und dauert normalerweise 3 Stunden. Wir kamen deutlich später an, was aber kein Problem war. Der Chor sang laut und inbrünstig zu Gitarre und Tamtam. Die 8 Leute machten einen recht freudigen Krach. Auch die Gemeinde in der rappelvollen Kirche stand dem an Lautstärke in Nichts nach. Obwohl aus Rücksicht auf uns Gäste französisch gesprochen wurde, verstand ich nicht sehr viel. Ich meine, es wurden unter Anderem die Namen der Gemeindemitglieder verlesen und wie oft diese in letzter Zeit in der Kirche waren. Die Predigt wurde simultan ins Bamvele übersetzt. Gegen Ende stellte sich noch die Jugendorganisation in Pfadfinderuniform und militärischem Drill als eine Armee Gottes vor.
Zurück auf dem Hof der Familie waren die Frauen noch immer mit Kochen beschäftigt. Die Männer räumten Plastikstühle vors Haus, denn es wurden um die 100 Gäste erwartet, sozusagen nur der engste Familienkreis. Im Lagerfeuer zwischen den zwei Küchen hinter dem Haupthaus schmorten zwei Affen. Die sollte es am nächsten Tag zu Essen geben und schienen so etwas wie eine Delikatesse zu sein. Zumindest wurde mir das so dargestellt, was meine Neugier durchaus weckte. Heute aber wurde mir Schildkröte mit Fufu aus Kochbananen gereicht. Ich bin eher wählerisch, was die zentralkamerunische Küche angeht, aber das schmeckte mir gar nicht schlecht. Schildkröte gab es nur für wenige von uns. Hühnchen, Fisch, Rind, Reis, Kartoffeln und Ndole (ein spinatartiges Gericht mit Fisch und Fleisch) war aber ausreichend für alle da.
Zu Beginn der Feier führte eine kleine Prozession von drei Trommlern und einem Musiker mit zwei Metallglocken („Nkeng“) begleitet zum Grab hinter das Haus. Der älteste der Trommler war nicht ganz rhythmussicher oder schon ein wenig angetrunken, weswegen seine Position immer mal wieder von anderen übernommen wurde. Hinterm Haus befand sich schon ein kleines Gebäude, in dem früher verstorbene beerdigt waren. Der Bruder fand seine letzte Ruhe an einem Platz der Rückwand des Mausoleums. Die Grabstätte war bereits mit Steinplatten und einem Grabstein eingefasst. Der ganze Komplex ist sehr ordentlich gemauert und sauber gehalten. Die Fließen und sanitären Einrichtungen im Badezimmer der Lebenden können da nicht ganz mithalten. Nach einer Andacht und kurzen Ansprache des Vaters sowie einem gemeinsam gesungenen Lied ging es zurück zum Haus, wo das Essen wartete. Die Festgesellschaft war nun deutlich angewachsen und stellte sich am Bufett im Wohnraum in einer Warteschlange an.
„Schwein“
Ziemlich bald nach dem Essen legten die Trommler wieder los und es zog die ersten Gäste auf den Tanzboden. Auf der Veranda hinter dem Haus und in den Küchen kochte die Stimmung auch ziemlich schnell hoch, als einige Frauen anfingen, beliebte Lieder anzustimmen. Es wurde in Frage-Antwort-Manier auf Bamvele gesungen. Ich bettelte meine Frau ständig, mir zu übersetzen, worum es in diesen Liedern gerade ging: meist um Liebe, Freud und Leid. Alle waren davon jedenfalls sehr belustigt. In Erinnerung blieb mir vor allem das Liede „Schwein“. Es ging um eine Frau, die sich über ihren Mann beschwerte, der ihr das Blaue vom Himmel versprochen hatte, sie aber am Ende ohne Geld im Dorf versauern ließ. Er war das „Schwein“. Da hatte es doch tatsächlich eine deutsche Vokabel aus der Kolonialzeit ins Bamvele geschafft.
Die Musiker vor dem Haus wurden abgelöst vom DJ, der ein abenteuerlich zusammengezimmertes Soundsystem, bestehend aus einem 386er Desktop-Computer älteren Datums, einem Mischpult einer kindshohen Box und einem seperaten Hochtonhorn, alles mit Klingeldraht zusammengeschlossen, aufgebaut hatte. Der Strom kam aus einem kleinen Dieselgenerator, den wir uns vom Cousin gegenüber geliehen hatten. Alle nutzten die Gelgenheit und luden an mehreren Verteilerdosen ihre Handys und ich meine Kamera wieder auf. Laut genug war diese Maschinerie jedenfalls. Die Festgesellschaft, besonders die Kinder, fuhren direkt darauf ab und es wurde bis in die tiefe Nacht durchgetanzt. Ein Bikutsi-Hit nach dem nächsten wurde abgefeuert. Beflügelt wurde die Stimmung durch Bier, Wein, Matango (Palmwein) und den Schnaps, den wir aus der Stadt mitgebracht hatten. Auch tauchten wieder die kleinen Plastik-Portionspackungen mit Whisky („Tir“) und Gin auf.
Unser Sohn konnte dem Geschehen nur mit maßvoller Begeisterung begegnen. Überall, wo er auftauchte, wurde er von den vielen Verwandten als Sohn des Dorfs gefeiert. Seine zahlreichen Homonyme, also alle Verwandten, die auch wie er den Namen des Großvaters und Dorfgründers „Zanga“ trugen, freuten sich überschwänglich, ihn zu sehen. Selbstverständlich wurde auch er auf den Tanzboden genötigt, was er mit etwas bemühtem Lächeln über sich ergehen ließ, sich dort aber ziemlich tapfer schlug. Wir sehen ihn eigentlich nie tanzen. Auf jeden Fall freuten sich meine Frau und ich über die Wucht, mit der er in dieser Nacht seine Kameruner Wurzeln kennenlernte.
P.S. Übrigens gab es am nächsten Tag wirklich Affe zu essen. Mit einem mulmigen Gefühl ließ ich mir diese Erfahrung nicht entgehen und ganz objektiv betrachtet schmeckte das Fleisch ganz gut. Eigentlich sah ich aber nur mich und den Schwager aus Dänemark Affen essen. Wir ernteten spöttische Kommentare, weil wir Primaten äßen. So richtig scharf auf die angebliche Delikatesse waren dann wohl auch in Wall nur wenige…
Lieber Herr Kollege Hentschel,
Wunderbar,Ihre lebensnahe Schilderung aus dem Kamerun. Man glaubt,dabei gewesen zu sein.
Bitte noch viele weitere Blogs
Wir sind gespannt
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Vielen Dank und viele Grüße!
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